Frieden?
Waffen zu liefern, bedeutet nicht, auf Friedensverhandlungen zu verzichten und Friedensverhandlungen anzustreben bedeutet nicht, den Überfall auf die Ukraine zu legitimieren. Politik muss mehr sein, als Waffen zu liefern – Neutralität, mehr als still zu halten. Das Gespräch führte Wolfgang Held.
Mit welchen Gedanken schaust du auf den Jahrestag des Angriffskriegs in der Ukraine?
Gerald Häfner Mich erschüttert auch nach einem Jahr, dass in Europa Krieg geführt wird und das politische und mediale Denken und Sprechen immer kriegerischer wird. Es sind bereits über 200 000 Menschen gestorben, und jeden Tag sterben weitere. Ich will nicht akzeptieren, dass uns nicht mehr einfällt, als die Ausgaben für das Militär hochzufahren und immer mehr Waffen zu liefern.
In Moskau ist kaum Verhandlungsbereitschaft zu erkennen – oder?
Nein. Putins Propaganda wird immer platter. Widerspruch wird nicht geduldet, Protest erstickt. Dennoch sind Verhandlungen möglich und müssen nicht erfolglos sein. Denn Russland steht mit dem Rücken zur Wand. Und es gab ja nicht nur Signale, es gab Gespräche und erste Annäherungen. Dann wurden sie abgebrochen – wie der ehemalige israelische Ministerpräsident Bennett beklagte, leider auf westlichem Wunsch. In ‹Foreign Affairs› konnte man den Grund lesen: nicht zu früh Frieden machen, vielmehr Russland militärisch und wirtschaftlich ausbluten lassen.
Es gibt auch jetzt Verhandlungsangebote von Putin wie von Selenskji, allerdings jeweils mit unerfüllbaren Vorbedingungen. Es braucht eine kraftvolle, neutrale Initiative. Ich würde mir die aus Europa wünschen, zum Beispiel von den neutralen Ländern. Wer für sich die Neutralität beansprucht, der könnte das doch auch als eine Verpflichtung verstehen, alles für einen Verhandlungsfrieden zu tun. Neutralität muss aktiv gelebt werden, nicht passiv. Aber auch alle anderen können hier aktiv werden.
Was macht die Kriegslogik so verführerisch?
Der Krieg führt zu einer systematischen Entichung. An die Stelle des Ich treten mächtige, nicht durchschaute Gefühle. Wir kennen es auch im Kleinen: Wenn wir streiten, sinken wir unter das Niveau unserer eigenen Möglichkeiten, werden archaisch in Gestus und Sprache. Statt Empfindung Reflex und Gegenreflex – das Menschliche schwindet.
Aus dieser Abwärtsspirale kann man aussteigen und vom höheren Ich her sein Verhalten ändern. Das verlangt, sich aus gegenseitigen Beschuldigungen zu befreien und das Verbindende zu suchen.
Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Webseite der Wochenschrift lesen.
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