Mut zum Schritt ins Unbekannte

Mut zum Schritt ins Unbekannte

11 Dezember 2023 Gerald Häfner 1163 mal gesehen

Seit 2004 verzeichnet der Transformations­index der Bertelsmann-Stiftung mehr autokratische als demokratische Staaten. Das Wahlergebnis in den Niederlanden ist hier ein weiterer Baustein. Wolfgang Held sprach im Oktober mit Gerald Häfner.


Wie ist der Rückgang der Demokratie zu verstehen?

Demokratie ist im schillerschen Sinne ein Spiel. Sie erzeugt Kohärenz und Entwicklung. Das Spiel braucht Regeln. Es gelingt, solange man bereit und fähig ist, sich auf Grundregeln zu einigen. Dazu gehört, dass man einander respektiert, zuhört, abwägt und entscheidet. Jetzt treten Menschen auf, die das Spielfeld nutzen, aber die Regeln brechen. Andere verlassen sogar das Spielfeld: ‹Wer anders denkt, ist mein Feind. Ich werde ihn bekämpfen.› Wieder andere wenden sich ab: Wir haben innerhalb der Demokratie Akteurinnen und Akteure, die mit nicht demokratischen Mitteln ihre Gegner bekämpfen. Damit attackieren sie nicht nur ihr Gegenüber, sondern auch die Demokratie selbst.

Wie kommt es, dass die Grünen zur Projektionsfläche für Ablehnung wurden?


Ich glaube, dass sich das Realitätserleben und die Zukunftserwartung innerhalb der von mir überschauten Lebenszeit dramatisch verändert haben. Meine Generation ist aufgewachsen in einer Welt, die alles andere als vollkommen war, aber uns ein glücklicheres und sichereres Zusammenleben erhoffen ließ. Hinter uns lagen furchtbare Kriege – vor uns, dachten wir, Frieden. Die heutige Lebensstimmung ist umgekehrt. Sie wird von Panik oder Verdrängung dominiert. Krisen nehmen zu und kommen näher. Die Liste der Angst ist lang: Wir kommen an die ökologischen Grenzen des Planeten, Rohstoffe werden knapp, Energie- und Mietkosten steigen, Kriege nehmen zu, Menschen sind auf der Flucht. Sie drängen auch in unsere Lebensräume, was vielen Angst macht. Wenn Angst die Seele beherrscht, wird man engherzig, aggressiv. Man will sich schützen. Man sucht nach Schuldigen, die man verantwortlich machen, ausgrenzen oder bekämpfen kann. Was gerade jetzt am nötigsten wäre, fällt dann besonders schwer: sich selbst zu ändern.

Wie wurden hier die Grünen zum Sündenbock?


Erstens: Weder Angst noch Verdrängung stärken den Mut zu Veränderungen, wie grüne Politik sie notwendig bräuchte.

Zweitens: Die Grünen haben sich selbst von einigen ihrer wichtigsten Ideen verabschiedet und verschwinden im Klein-Klein.

Drittens: Zum grünen Anspruch sollte es gehören, zuzuhören und im Dialog mit der Bevölkerung Veränderungen zu verwirklichen. Dieser Diskurs wird zu wenig geführt, zu viel wird von oben dekretiert. Das empört viele.

Und viertens: Die deutsche Regierungskoalition begann gut. Man hat gemeinsam Perspektiven entwickelt und sich zusammen viel vorgenommen. Doch diese politische Kultur erodierte, als es nicht mehr um Sachfragen, sondern um Personen, Macht und Einfluss ging. Plötzlich wurde nicht mehr nur intern miteinander gerungen, sondern über außen gespielt. Einzelne Beteiligte haben das ganze Spiel verändert. Besonders der Finanzminister entdeckte, dass er seine Position benutzen könnte, um inhaltliche Vereinbarungen sowie den Erfolg anderer zu verunmöglichen. Die Tragödie dieser Regierungskoalition ist, dass sie begonnen hat, gegeneinander zu operieren.

Dieser Text ist ein Auszug aus einem Artikel, der in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› veröffentlicht wurde. Sie können den vollständigen Artikel auf der Webseite der Wochenschrift lesen.

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Bild Gerald Häfner während der Weltkonferenz 2023, Foto: Xue Li