Zum Gedenken an Christof Lindenau

Zum Gedenken an Christof Lindenau

18 September 2024 Gerald Häfner 130 mal gesehen

Im August dieses Jahres ist Christof Lindenau (23. Februar 1928 – 8. August 2024) über die Schwelle gegangen. 


Christof Lindenau wurde 1928 in Danzig geboren. Nach dem Philosophie- und Literaturstudium in Freiburg/Breisgau übernahm er Tätigkeiten als Erzieher und Waldorflehrer sowie als Erwachsenenbildner u.a. in Schloss Hamborn und Bochum. Er baute ein berufsbegleitendes Waldorflehrerseminar mit auf – aber auch eine Anthroposophische Meditationswerkstatt. Für die GLS-Bank war Lindenau als Aufsichtsratsmitglied tätig. Lindenau verband sich früh mit der Anthroposophischen Gesellschaft ebenso wie mit der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft. Langjährige Mitarbeit in der Anthroposophischen Gesellschaft in Finnland und Deutschland (hier besonders im Arbeitszentrum NRW) wie in der Sozialwissenschaftlichen Sektion der Freien Hochschule prägten sein Leben und Wirken. Er war nicht nur Autor zahlreicher Bücher, sondern auch Vortragsredner, Kursleiter, Gastgeber und Veranstalter von Seminaren über Anthroposophie, Dreigliederung, Gesellschaftsentwicklung, Studium, Meditation und meditative Forschung. 

Christof Lindenau engagierte sich in besonderer Weise für eine wahrhaft menschliche, das heißt freiheitliche, gerechte und soziale Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens. Er war nicht nur ein unermüdlicher Forscher auf diesem Gebiet, sondern für viele auch ein wichtiger Lehrer und bedeutender Autor. 

Er lebte in einer besonderen Zeit. In Bezug auf den Umgang mit der sozialen Frage ließen sich damals in anthroposophischen Kreisen grob gesprochen vier verschiedene Strömungen beobachten: die derjenigen Menschen, die sich ganz von der politischen Wirklichkeit abwandten und nurmehr innere Wege suchten (und gelten liessen), die derer, die sich aufgerüttelt durch die Verhältnisse in aktiven politischen Aktivismus stürzten, die derjenigen, die mehr theoretisch von ihnen «zu Ende gedachte» Bauanleitungen des Sozialen Organismus verkündeten und immer darauf warteten, dass, was sie vorausgedacht, nun endlich gewollt und realisiert würde und schließlich die derjenigen, die nicht auf eine Änderung im Großen warten wollten, sondern jetzt schon aus erneuerten sozialen Impulsen heraus konkrete Einrichtungen (wie Höfe, Schulen, Kliniken) aufbauten. 

Christof Lindenau gehörte keiner dieser Strömungen an – oder, besser gesagt: allen. Denn er war - das war eine auffallende Qualität seiner Persönlichkeit - ein herausragendes Beispiel dafür, dass und wie die Wege nach außen und die Wege nach innen einander nicht ausschließen, sondern, recht verstanden, eigentlich sogar bedingen. 

Wirkliches Verständnis von und Handeln aus Anthroposophie kann sich erst dort entfalten, wo wir den Weg nach innen, also den Pfad der Selbsterkenntnis und der meditativen Vertiefung, mit dem Weg nach außen, also tatkräftigem Handeln und gesteigertem Engagement angesichts der Nöte der Welt, verbinden lernen. Dies – und wie die auf dem einen Wege erzielten Fortschritte, Fähigkeiten und Erfahrungen auch die auf den anderen Wegen zu steigern vermögen, konnte man von ihm lernen.

Entsprechend verstand er auch die Dreigliederung des Sozialen Organismus nicht normativ, nicht als einen fixen Zustand, sondern als Bedingung, Rahmen und Weg zu von den Menschen zu gestaltender freiheitlicher sozialer Entwicklung. 

Christof Lindenau hat lebenslang an den Grundlagen einer Menschenkunde des denkenden Menschen gearbeitet, aus der er vielfältige Anregungen für die methodische Gestaltung des anthroposophischen Studiums entwickelte. Beiträge dazu finden sich auch in seinen vielen Aufsätzen und Büchern. Ob in «Der übende Mensch: Anthroposophie-Studium als Ausgangspunkt moderner Geistesschulung», in «Staunen, Mitgefühl, Gewissen : zur Anthroposophie als einer Versuchsmethode des Allgemein-Menschlichen» oder in «Soziale Dreigliederung : der Weg zu einer lernenden Gesellschaft - ein Entwurf zum anthroposophischen Sozialimpuls»: immer ging es ihm um den Weg zu einem eigenständigen, schöpferischen Studium der Anthroposophie wie der Dreigliederung – und, untrennbar damit verbunden - um eine bewusste positive Entwicklung des Einzelnen wie der Gesellschaft. 

So lebte Christoph Lindenau als ein leuchtendes Beispiel anthroposophischer Sozialwissenschaft und -gestaltungskunst.


Bild Christoph Lindenau am 16.6.2006 auf der Jahresversammlung der GLS Gemeinschaftsbank in Bochum, Foto: Hans-Florian Hoyer

Literaturempfehlungen

Der übende Mensch, Stuttgart 1981
Die Keimkräfte der sozialen Dreigliederung und ihre Pflege, Soziale Hygiene / Nr. 47, Bad Liebenzell 1983
Soziale Dreigliederung: Der Weg zu einer lernenden Gesellschaft, Stuttgart 1983
Im Grenzgang zu erringen: Zur Übungs- und Arbeitsweise geistiger Forschung, Stuttgart 1994
Staunen, Mitgefühl, Gewissen, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2003